Samstag, 8. September 2012

'Strafsache Vatikan' v. Uli Weyland

Die pauschale Verunglimpfung oder gar Verteufelung der römischen Kirche und ihrer absolutistisch ausgelegten Führungsriege um die jeweiligen Päpste ist schlichtweg unangebracht. 


Ein seinen Einführungen zur Vorlesung 'Kirchengeschichte Basisstudium' unterstreicht Professor Kriegbaum die Notwendigkeit zur Vergangenheitsbewältigung - und erklärt, die Nachtseiten aus dem Gedächtnis sei kein gutes Mittel dieser Aufarbeitung. 
"Dies gilt insbesondere deswegen, weil ich dann auch immer wieder vom Abgründigen im Menschen, gerade auch bei von mir besonders geliebten Menschen, überrascht, verwirrt und aus dem Gleis geworfen werden kann. Überreaktionen nach der Seite des Hasses aus enttäuschter Liebe erklären sich von daher."
Dies gelte auch für den Umgang mit der Kirche, die nicht nur aus Heiligen, sondern auch aus normalen Menschen bestehe und immer bestanden hat. Selbst die Heiligen seien "nicht einfachhin heilig und gut" - auch an ihnen entdecke eine kritische Geschichtsforschung immer wieder das Böse und die Grenzen der Heiligkeit, die oftmals zu Lebzeiten der Heiligen so gar nicht wahrgenommen bzw. verstanden worden sind. 
Der treue Gäubige liebe 'seine Kirche' kaum weniger, sofern ihm bewusst sei, wie abgründig auch das Böse in ihrer Mitte (und an ihrer Spitze) wirksam werden kann? 
Die Kirche mit ihren Stärken und Schwächen zu kennen, sollte demnach nicht negativ bewertet bewerten... auch wenn die gegenwärtige Kirchenführung die dringende Notwendigkeit zur offenen Vergangenheitsbewältigung nur in Teilen erkennt und auch nur selektiv fördert.

Das weitgehend vergriffene (aber gebraucht in Antiquariaten und im Buchversand erhältliche) Buch "Strafsache Vatikan" des früheren Stern-Redakteurs Uli Weyland wurde 1994 veröffentlicht. In einem fiktiven Prozess mit Jesus als Ankläger werden 46 Hauptbeschuldigte ausgemacht - Päpste, die vom ersten Jahrhundert bis in die Gegenwart für eine "beispiellose Verbrechensgeschichte" verantwortlich sein sollen.

Die Wortwahl ist weniger gerichtstypisch, was im übrigen auch auf allzu wohlwollende Rezensionen zutrifft:
"In seinem Eröffnungsplädoyer beschwört Jesus die Dimension der Klage und weist auf den Seher Johannes hin, der in seiner Apokalypse am Ende der Bibel "die Schreckensvision Kirche vorausgeahnt" hat. "Als Inkarnation der vier apokalyptischen Reiter zieht sich die Spur der Kirche durch die Weltgeschichte: Hunger, Pest, Krieg und Tod."
Mit der Offenbarung des Johannes bin ich derzeit noch nicht sehr vertraut - kann als gesichert gelten, dass seine Vision die spätere katholische Kirche klar als inkarnierte Reiter der Apokalypse umfasste? Oder greift hier eine polemische Rhetorik??

Für mich sind allein die Fakten interessant - auch im Hinblick auf eine sehr aktuelle Frage, nämlich den moralischen Anspruch der Römisch-Katholischen Kirche in ihrer Auseinandersetzung mit dem Islam oder bei der Beauftragung so genannter Sektenbeauftragter...

Klemens I. - der als Bischof von Rom - bezichtigt unter anderem der Amtsanmaßung, der Falschaussagen und des Betrugs. Verworfen und schändlich sei es, wenn Klemens sich auf ihn, auf Jesus beruft, wenn der Bischof für sich reklamiert, Haupt der Kirche zu sein. Jesus klagt an: "Zu keinem Zeitpunkt meines Lebens habe ich daran gedacht, ein Papsttum zu stiften." Dies "steht im Widerspruch zu meiner Lehre."



Als einer der traurigen Höhepunkte wird die Inquisition als Instrument zur Ausmerzung behandelt.  war Innozenz III. Auf seine Anordnungen geht zurück, dass jeder "Gläubige" gezwungen war, "bei seiner Beichte ´Verdächtige` anzugeben, und wer dies unterließ, war selbst der ´Ketzerei` verdächtigt und damit im Teufelskreis der Inquisitoren, aus dem es praktisch kein Entrinnen hab.

Je intensiver die subjektive, wenn auch zum Teil nachvollziehbare Auffassung des Autors  als gesprochene Jesus-Worte installiert werden, um so mehr wächst mein Unbehagen.
 So gebe Jesus auch einen Überblick über mehrere Jahrhunderte: "Es schaudert mich, dem Gericht Zahlen nennen zu müssen, aber für den Zeitraum von 1232 bis etwa 1850 rechnen die Forscher mit mehreren Millionen Toten. Wie viele Menschen dabei auch seelisch zerstört worden sind, hat bis heute niemand auch nur zu schätzen gewagt. Mit der Inquisition und den Ketzerverfolgungen hat die Kirche Erpressung und Mord bis in die Familien getragen, da durch die Gebote ihrer Führer Eltern gezwungen wurden, ihre Kinder zu denunzieren, Kinder ihre Eltern, Männer ihre Frauen und Frauen ihre Männer ..."
Und weiter:
Diese von mir angeklagte Kirche hatte also eine zweite Hölle erfunden - die auf Erden." 

In dieser negativen, z.T. überzeichneten Einseitigkeit dürfte die Lektüre dieses Buches kaum einem aktiven, überzeugten Angehörigen dieser Kirche zuzumuten sein.
Ob es nicht zudem anmaßend ist, Jesus als Ankläger zu instrumentalisieren, habe nicht ich zu beurteilen.

Erforderlich gewesen wäre auch, die durchaus vorhandenen Aspekte von Einsicht und Umkehr der Kirchenführung zu thematisieren - so distanzierte sich Johannes Paul II. mehrmals in offiziellen Erklärungen von schwere Vergehen der Kirche in ihrer Geschichte.

Schade, denn eine kritische Bewertung kirchlichen Handelns über die reine Faktenlage tut Not, aber dazu erscheint dieses Buch leider ungeeignet.-

Anmerkung:
Der kirchengeschichtliche Gegenwartsbezug wird an anderer Stelle (als in diesem Buch) deutlich - im Hinblick auf die Frage, für welchen Umgang mit Andersgläubigen und Abweichlern in den eigenen Reihen sich die RKK denn heute festlegt (allerdings nicht mehr unter Befürwortung von weltlichen Machtmitteln und Gewaltanwendung):

"Die Kirche hat kraft ihrer göttlichen Einsetzung die Pflicht, auf das gewissenhafteste das Gut des göttlichen Glaubens unversehrt und vollkommen zu bewahren und beständig mit größtem Eifer über das Heil der Seelen zu wachen. 

Deshalb muss sie mit peinlicher Sorgfalt alles entfernen und ausmerzen, was gegen den Glauben ist oder dem Seelenheil irgendwie schaden könnte. Somit kommt der Kirche aus der ihr vom göttlichen Urheber übertragenen Machtvollkommenheit nicht nur das Recht zu, sondern sogar die Pflicht, gleich welche Irrlehren nicht nur nicht zu dulden, sondern vielmehr zu verbieten und zu verurteilen, wenn das die Unversehrtheit des Glaubens und das Heil der Seelen fordern." 

(Neuner-Roos: 'Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung', 1992 - ein offiziell anerkanntes Lehrbuch über  heute gültige Glaubenssätze der RKK)

Dass dies nicht nur verstaubte Worte sind, zeigt ein Blick auf den derzeitigen 'Stellvertreter Gottes': 
Vor seiner Papstwahl war Josef Ratzinger  der 'Großinquisitor der katholischen Kirche' - präziser: er war Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre.
Die Congregatio pro doctrina fidei ist eine von Papst Paul III. mit der am 21. Juli 1542 als Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition) gegründete Zentralbehörde der RKK. Ihr obliegt der Schutz der Kirche vor Häresien (Irrlehren), d.h. abweichenden Glaubensvorstellungen.
Ratzinger wandte sich mit Entschiedenheit gegen die auch sozialpolitisch verankerte Befreiungstheologie Südamerikas.
Die christliche Befreiungstheologie versteht sich als „Stimme der Armen“ und will zu ihrer Befreiung aus Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung beitragen. Aus der Situation sozial deklassierter Bevölkerungsteile heraus interpretiert sie biblische Tradition als Impuls für umfassende Gesellschaftskritik
Es blieb nicht bei öffentlichen Maßregelungen, prominente Vertreter wie Ernesto Cardenal wurden zunächst diszipliniert und später mit Verboten traktiert.
Unter Ratzingers Leitung wurden über 150 Theologen, die von der vatikanisch vorgegebenen Dogmatik und Moraltheologie abgewichen waren, mit Redeverbot, Suspension, Entzug des Lehrstuhls usw. belegt. 

Auch als Papst hat Ratzinger an diesen an das Mittelalter erinnernden Zuständen nichts geändert: Zur Einstimmung reicht es aus, einmal das "Allgemeine Dekret in Bezug auf die Straftat der versuchten Ordination einer Frau" von 2007 auf der Homepage der Glaubenskongregation zu lesen. Darin heißt es:
"Unbeschadet der Vorschrift von can. 1378 des Codex des kanonischen Rechtes zieht sich jeder, der einer Frau die heilige Weihe zu spenden, wie auch die Frau, welche die heilige Weihe zu empfangen versucht, die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation latae sententiae zu."
Der Fortschritt besteht offenbar darin, dass die Beteiligten zwar nicht mehr auf dem Scheiterhaufen landen, so lange sie noch leben. Im Jenseits aber sollen sie der ewigen Hölle und Verdammnis überantwortet werden - was nach katholischer Vorstellung die Folge der Exkommunikation ist, sofern diese zum Zeitpunkt des Todes noch besteht.


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Dokudrama "Die geheime Inquisition"


Anmerkung:
Mit der Titulierung als 'moderner Großinquisitor' hatte Ratzinger überhaupt kein Problem: Er sah sich in einer kontinuierlichen Linie mit der Inquisition früherer Jahrhunderte - mit einem Unterschied: Heute bediene man sich anderer Methoden.
Ratzinger wörtlich: "Großinquisitor ist eine historische Einordnung, irgendwo stehen wir in der Kontinuität. Aber wir versuchen heut' das, was nach damaligen Methoden, zum Teil kritisierbar, gemacht worden ist, jetzt aus unserem Rechtsbewusstsein zu machen. Aber man muss doch sagen, dass Inquisition der Fortschritt war, dass nichts mehr verurteilt werden durfte ohne Inquisitio, das heißt, dass Untersuchungen statt finden mussten."

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