Freitag, 20. März 2015

Noch eine Anti-Terror-Einheit

Die Bundespolizei soll durch eine neue hochgerüstete Anti-Terror-Einheit verstärkt werden - ergänzend zur nach 1972 eingerichteten GSG9. Damit soll eine schnelle Reaktion auf Krisensituationen wie jüngst in Paris oder Kopenhagen ermöglicht werden. (Quelle: DW)
Im Unterschied zur GSG9 soll die neue Einheit  auch für normale Polizeidienste herangezogen werden.
Genau das brauchen wir jetzt: eine zusätzliche Truppe, damit im Ernstfall erst einmal möglichst viel Zeit für Kompetenz- und Zuständigkeits-streitigkeiten draufgeht. Was spräche dagegen, die Personalstärke und Ressourcen der bestehenden Einheiten zur Terrorismusbekämpfung aufzustocken - falls in dieser Hinsicht bislang zu wenig getan wurde?

Wenn "dies" die Antwort der Bundesregierung auf die wachsende terroristische Bedrohung, vor allem durch den islamistischen Terrorismus sein soll, frage ich mich: Warum gerade jetzt? Die von Terroristen ausgehende Bedrohung ist nicht erst im Jahr 2015 entstanden.

Kann es sein, dass einmal mehr operative Hektik ausbricht...dass die Regierenden von einem angstvollen "Wir müssen etwas tun"-Wahn getrieben ist?
Wenn jemand mit schweren Waffen unterwegs sei, sei die Polizei nicht perfekt ausgestattet.
Ganz was Neues...bisher hatte das feige Terroristenpack wohl nur Luftpistolen dabei, wenn es unschuldige Opfer in die Luft sprengte.

Journalismus und Integrität: Wen interessiert ein Stinkefinger von vor zig Jahren?

"Wenn es zu einem Grexit käme, würde aus der griechischen Krise eine humanitäre Katastrophe", befürchtet Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament. Nun, im Zuge der durch die sog. Troika erzwungenen Finanz-"Reformen" in Griechenland stieg die Säuglingssterblichkeit um 43 Prozent; lebensnotwendige Medikamente (z.B. zur Krebstherapie) können nicht mehr bereitgestellt werden. Die Arbeitslosenquote liegt oberhalb der 25-Prozent-Marke.
Die humanitäre Katastrophe ist längst eingetreten

(Vgl. hierzu:
Wenn in dieser erschreckenden Situation innerhalb des reichen, angeblich wohlhabenden und der Menschenwürde verpflichteten Europa ein amtierender Finanzminister von deutschen Journalismen im öffentlich-rechtlichen TV mit einer über 2 Jahre alten Einspielung diskreditiert wird, erscheint dies meiner Einschätzung nach als Ausdruck einer gezielten Desavouierungs-Kampagne:
Will 'man' will diesen (zugegebenermaßen unbequemen und respektlosen) Störenfried Varoufakis loswerden und damit bestenfalls die gesamte Regierung Tsipras ins Abseits stellen?
Der dieser nutzlosen Aufgeregtheit zugrunde liegende Sachverhalt (aus dem Jauch-Interview mit Varoufakis vom 15.März 2015) lässt sich durchaus in einer kurzen Meldung abhandeln:
"In dem betreffenden Ausschnitt ist Varoufakis bei einem Vortrag im Jahr 2013 in Zagreb (Kroatien) zu sehen. Damals stand er als Wirtschaftsprofessor auf dem Podium. Während seines Vortrags verwies Varoufakis darauf, dass er nach dem Ausbruch der Krise vorgeschlagen habe, Griechenland solle im Januar 2010 so wie Argentinien seine Zahlungsunfähigkeit erklären. Dabei hätte das Land aber in der Eurozone bleiben sollen - "und damit Deutschland den Finger zeigen und sagen: Ihr könnt das Problem jetzt selbst lösen"." (Quelle: tagesschau.de)

Wen interessiert ein Stinkefinger von vor zig Jahren?


Der Wutpegel stieg binnen Minuten...und die Journaille übte sich in lustigen Wortfindungs- und Schlagzeilen-Spielereien:
  • "Fake-Finger-Gate"
  • "Varou-Fake oder nicht?
  • "Die Verwirrung ist groß"
  • "Die Emotionen kochen hoch!"
Sagt mal, merkt ihr noch was??

Anscheinend sehr viele Menschen...oder die Absicht dieses Rückgriffs auf fast schon historisches Filmmaterial besteht darin, auf BILD-Niveau hierzulande und in Griechenland für Aufregung zu sorgen.
Jede Minute gebürenfinanzierter Sendezeit ist verschwendet, wenn sie sich mit diesem unzeitgemäßen Nebenschauplatz beschäftigt. Dass anschließend "die sozialen Netzwerke explodieren", wirft ein trauriges Licht auf das hiesige Wutbürger-Potenzial.

Wie pointiert Kritik mit den Mitteln der Satire gestalten lässt, zeigte Jan Böhmermann (neo magazin royale) ist mit seiner vermeintlichen Manipulation des "Stinkefinger-Videos von Yanis Varoufakis": Mit seinem Hinweis auf "eine kleine gebürenfinanzierte Loser-Show" versetzte der ZDF-Moderator fast einen Tag lang die deutsche Öffentlichkeit an den Rand des kollektiven Herzinfarktes. 

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Böhmermann redet Tacheles:
"Das trifft aber wirklich 'nen Nerv. So sind wir Deutschen halt: In einem Jahrhundert zweimal Europa verwüstet - aber wenn man uns den Stinkefinger zeigt, dann flippen wir aus!  
Dann kennen wir keine sachliche Diskussion mehr."
Abschließend stellt B-Män noch klar:
"Liebe Günter-Jauch-Redaktion,...ihr habt das Video nicht gefälscht. Ihr habt einfach nur das Video aus dem Zusammenhang gerissen - und 'nen grichischen Politiker am Stinkefinger durch's Studio gezogen. Damit sich Muddi und Vaddi abends nach'm Tatort nochmal schön aufregen können..."
Dies ist für mich die entscheidende Aussage.
Sich an dieser blamablen, weil von den relevanten Fragen allzu weit entfernten Debatte ("Hat er nicht ...? Hat er etwa doch...? Was fällt dem Pleite-Griechen ein...!" usw.) zu beteiligen, offenbart einen Trend zur emotionalen Verstiegenheit bei totaler geistiger Windstille.
Sollten wir unsere Energie und unsere Emotionalität nicht dort einbringen, wo damit irgendetwas Positiv für von dramatischer Armut und Unterversorgung betroffene Personen erreicht werden kann??

Es ist verständlich, wenn die deutschen Steuerfragen sich über die anstehen Sachfragen echauffieren:
  • Warum kommt die griechische Regierung ausgerechnet jetzt auf die Idee, Reparationen in Bezug auf Nazi-Verbrechen vor 1945 zu fordern?
  • Auf welcher Rechtsgrundlage (bzw. welchem Rechtstitel) könnte Griechenland seine Drohung wahrmachen, deutschen Besitz im Zwangsverfahren zu verwenden?
  • Weshalb fokussieren Tsipras und seine Ministerriege ihre z.T. unsachliche, wenn nicht beleidigende Kritik dermaßen auf Deutschland?
    Ist die Troika etwa ein Produkt von urdeutscher Gründlichkeit und Regelungswut?
  • Weshalb wurde in Griechenland von 2012 bis 2015 noch immer keine funktionierende Steuerverwaltung installiert, um die staatlichen Einnahmen zu sichern?
Aber auch:
  • Weshalb lässt man der neugewählten Regierung Griechenlands nicht einmal die üblichen 100 Tage Zeit, um den vor ihr liegenden Spagat zu vollziehen: einerseits ihre Wahlversprechen einzuhalten und andererseits ein glaubhaftes Konzept zur Schuldentilgung vorzulegen - in einer Weise, die allen Griechen (insbesondere jenen unterhalb der Armutsgrenze) ein menschenwürdiges Leben wieder ermöglicht?
  • Ist ein Grexit sinnvoll? Ist er überhaupt zu verantworten? Werden die Konsequenzen einer Rückkehr zur Drachme von den Grexit-Befürwortern überhaupt richtig eingeschätzt? 
  • Weshalb vergibt die EU/EZB nicht schnellstens ein zweckgebundenes Darlehen an den griechischen Staat, das allein dazu dient, um die schlimmsten Armutsfolgen zu lindern, eine Auswirkung der einseitig angelegten Auflagen im Rahmen des ESFS-/ESM-Programms?
Diese Fragen werden im (unten eingeblendeten) Interview mit Yanis Varoufakis durchaus thematisiert - in einer kontrovers geführten, interessanten Diskussion. Nur, was davon in der medialen und netzbasierten Öffentlichkeit nachklingt, ist der bekloppte Rückgriff auf den alten Filmausschnitt über des Finanzministers Mittelfinger.

Nicht zu fassen.

Das Fake ist also gar kein Fake. Dass der griechische Finanzminister von der Jauch-Redaktion eine Entschuldigung forderte, erwies sich insoweit als vorschnell. Derweil nahm nahm die Aufgeregtheit gestern Abend bei "Lanz" ihren Fortgang:
Nach kurzzeitiger Verwirrung wurde aus "Fakefinger-Gate" wieder "Finger-Gate" - der gerechte deutsche Volkszorn durfte weiter kochen. Mit geschickter Fragestellung insinuierten M.Lanz und seine Gäste, nach seiner ungeschickten Reaktion auf das Vorgeführtwerden mit seinem alten Stick-the-Finger-Video sei wohl der Rücktritt des griechischen Finanzministers fällig:


'In Deutschland müsste so einer zurücktreten' lautete der Gedanke, der einem deutschen Millionen-Publikum in kaum merklich gelenkter Spontaneität nahegebracht wurde.
Na klar, das deutsche Wesen, an dem die Welt (oder wenigstens Europa) nach Meinung mancher immer noch genesen soll, kommt in der Sachfrage mit dem störrischen Griechen nicht weiter...also muss er weg. Notfalls dank dieser (durchaus kritikwürdiger) Meinungsäußerung von vor zwei Jahren.

Jauch-Interview mit Yanis Varoufakis vom 15.März 2015: