Doch ist es ebenso schädlich, wenn eine tendenziöse Darstellungsweise und subtile Wortwahl den Eindruck zu erwecken suchen, als sei Gewalt und Schrecken so ziemlich das einzige, was Religionen hervorgebracht hätten.
Die Abhandlung "Die Geschichte christlicher Gewalt" von Martin Stöhr eignet sich insoweit als Einstieg in die Auseinandersetzung mit einer Religion, deren Theologie eine klare Botschaft des Friedens, der Gerechtigkeit und der Gewaltlosigkeit in den Vordergrund stellt. Dass insbesondere das Alte Testament (AT) in Teilen vor Tod und Gewalt trieft, tut dem keinen Abbruch.
Unangebracht dagegen ist die "christliche Tradition, sich selbst als ’Religion der Liebe’ zu deklarieren und das Judentum mit der Rede von einem ’rachsüchtigen und gewalttätigen Gott’ abzuwerten".
Die Verfolgung der Häretiker, später der Heiden und Juden, wird zur Aufgabe der staatlichen Gewalt oder des Volkes, dem man Sündenböcke zeigt...
"Diese christlichen Bündnisse mit der Staatsmacht auf Kosten des Judentums vergiften die jüdisch-christlichen Beziehungen auf fast 2000 Jahre."
Auch Karl der Grosse (768–814) knüpfte erneut an die Traditionen des römischen Reiches an - er war bestrebt, die religiöse Einheit in seinem Reich zu erwirken und stellte zugleich Kirche und Religion in den Dienst des Staates. Teile der Sachsen werden mit grausamer militärischer Gewalt unterworfen, christianisiert und 'eingegliedert'. Nicht das 'gepredigte Wort Gottes' brachte den Glauben; vielmehr wurde dieser brutalst mit Feuer und Schwert erzwungen. Heidnische Kultorte und Heiligtümer wurden weitestgehend zerstört.
Dass Karl sich Glanz und Autorität von biblischen Gestalten wie David und dem Priesterkönig Melchisedek (Gen 14, Hebr 5, 6) entlieh, blieb in der europäischen Geschichte kein Einzelfall.
Stöhr spannt nicht nur den weiten Bogen bis zu den Kreuzzügen - er arbeitet auch heraus, wie in der Christenheit eindringliche Begrenzungen der Gewalt gefordert werden - nicht erst seit den mittelalterlichen Erneuerungs- und Armutsbewegungen.
"Die Botschaft Jesu ist nicht ganz vergessen."Freilich wurde ein Teil dieser Bemühungen um innerkirchliche Erneuerung (vgl. 'Franziskaner als Sozialrevolutionäre') und Rückbesinnung kategorisch als Irrlehre gebrandmarkt - insbesondere da, wo Päpste und Kurie ihren eigenen Machtanspruch in Zweifel gezogen sahen. Allgemein seien Aktionen gegen Gewalt innerhalb der christlichen Geschichte allerdings eine Minderheitenposition.-
"Mehrheitlich findet eine Anpassung an die herrschende Macht statt oder eine Instrumentalisierung isolierter christlicher Motive wie z.Zt. in der Kriegsrhetorik von George W. Bush oder bei den fanatischen Gegnern in Nordirland."In seinem Artikel begeht Martin Stöhr nicht den häufig anzutreffenden Fehler, sich im Stiel der Boulevard-Presse auf die allgemein bekannten 'Highlights' wie Hexenverbrennung und Vernichtung der Katharer zu stürzen. Statt dessen wird eine Entwicklung hin zur biblisch scheinbar legitimierten Gewalt beschrieben.
Aus meiner Sicht ist seine Darstellung so ausgewogen, wie es ein derart heikles Thema nur zulässt.
Allerdings geraten m.E. die Attribute 'christlich' und 'römisch-katholisch' etwas durcheinander: Sofern bezüglich der ersten Jahrhunderte von christlicher statt katholischer Gewalt die Rede ist, ensteht ein pauschaler und insoweit unzutreffender Eindruck: Nicht nur unter den Gnostikern gab es sehr wohl christliche Strömungen, Gruppen und Gemeinden, die dem pazifistischen Ethos der Anfangsjahre konsequent die Treue hielten.
- Den ganzen Artikel lesen:
"Die Geschichte christlicher Gewalt", Martin Stöhr
2 "Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. (Lk 14, 23; Lut,1984)"