Montag, 27. August 2012

Die Geschichte christlicher Gewalt - Martin Stöhr

Einseitig aufbereitete Texte, gerade wenn sie ein kritisches, negativ besetztes Themengebiet behandeln, schätze ich nicht sonderlich. Andererseits sind Gewaltakte seitens oder auf Veranlassung religiöser Institutionen als geschichtliche Tatsache nicht von der Hand zu weisen, daher dürfen die historischen Fakten meiner Auffassung nach weder verdrängt noch ausgeblendet werden.
Doch ist es ebenso schädlich, wenn eine tendenziöse Darstellungsweise und subtile Wortwahl den Eindruck zu erwecken suchen, als sei Gewalt und Schrecken so ziemlich das einzige, was Religionen hervorgebracht hätten.

Die Abhandlung "Die Geschichte christlicher Gewalt" von Martin Stöhr eignet sich insoweit als Einstieg in die Auseinandersetzung mit einer Religion, deren Theologie eine klare Botschaft des Friedens, der Gerechtigkeit und der Gewaltlosigkeit in den Vordergrund stellt. Dass insbesondere das Alte Testament (AT) in Teilen vor Tod und Gewalt trieft, tut dem keinen Abbruch.

Unangebracht dagegen ist die "christliche Tradition, sich selbst als ’Religion der Liebe’ zu deklarieren und das Judentum mit der Rede von einem ’rachsüchtigen und gewalttätigen Gott’ abzuwerten".

Stöhr zeigt den Irrtum auf, welcher auf der Annahme beruhe, dass im AT allein  ’Krieg’ und ’Gewalt’ dominieren, während und ’Liebe’ und ’Frieden’ dem Neuen Testament vorbehalten seien.

Er beschreibt den erstaunlichen, ja unverständlichen Wandel des Christentums von einer verfolgten jüdischen Sekte bis hin zur dominanten, gewaltbereiten Staatsreligion und Konstantin 'dem Großen' und in den Jahren danach (unter Kaiser Theodosius I (379–395)).
Für Konstantin zählte dabei nur, welcher der militärisch stärkere Gott war und welche Gruppierung als politischer Machtfaktor zu berücksichtigen war.  

Für ihn galt das selbe Prinzip wie für viele weltliche Machthaber nach ihm: Eine verbündete und vor allem einheitlichen Religion und kirchlicher Monopolanspruch stärkten den eigenen Machtbereich ganz erheblich. Unter Theodosius I. sei eine theologisch korrekte christliche Lehre zum Staatsgesetz erhoben worden. Was eine Irrlehre ist, definierten die Bischöfe oder Synoden.

Die Verfolgung der Häretiker, später der Heiden und Juden, wird zur Aufgabe der staatlichen Gewalt oder des Volkes, dem man Sündenböcke zeigt...

Stöhr betont allerdings, dass der Wunsch einer einheitlichen christlichen Religion auch auf einer tiefen christlichen Sehnsucht beruhte: ’auf dass alle eins seien’.
Doch zugleich manipulierten die machtbewußten Eliten auf klerikaler wie säkularer Seite geschickt den Zorn der entstehenden 'römischen' Kirche gegen Andersgläubige für ihre Zwecke, der "zuerst den Häretikern, dann den Heiden und zuletzt den Juden" gegolten habe.

Das Verhältnis zwischen Christen- und Judentum wird durch katholische Polemik gegen das Judentum auf die Ablehnung und spätere Hinrichtung Jesu "durch das jüdische Volk" reduziert. Dieser kollektive Vorwurf soll die römische Staatsgewalt ent- und das  das jüdische Volk belasten.
"Diese christlichen Bündnisse mit der Staatsmacht auf Kosten des Judentums vergiften die jüdisch-christlichen Beziehungen auf fast 2000 Jahre."


Im Lauf der Jahrhunderte, so Stöhr weiter, habe eine bemerkenswerter Akzentverschiebung stattgefunden: Immer weniger sei mit dem Gebot 'Du sollst nicht morden' (so lautet offenbar die korrekte Übersetzung oder mit der biblischen Ethik gegen die Allmacht weltlicher Herrscher argumentiert worden. Die Aufforderung aus der Apostelgeschichte ’...man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!’(Apg 5,29) trat hinter einen verkürzten Vers aus dem Römerbrief zurück: ’Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat’ 1 .


Auch Karl der Grosse (768–814) knüpfte erneut an die Traditionen des römischen Reiches an - er war bestrebt, die religiöse Einheit in seinem Reich zu erwirken und stellte zugleich Kirche und Religion in den Dienst des Staates. Teile der Sachsen werden mit grausamer militärischer Gewalt unterworfen, christianisiert und 'eingegliedert'. Nicht das 'gepredigte Wort Gottes' brachte den Glauben; vielmehr wurde dieser brutalst mit Feuer und Schwert erzwungen. Heidnische Kultorte und Heiligtümer wurden weitestgehend zerstört.
Dass Karl sich Glanz und Autorität von biblischen Gestalten wie David und dem Priesterkönig Melchisedek (Gen 14, Hebr 5, 6) entlieh, blieb in der europäischen Geschichte kein Einzelfall. 

Wie aber gelang das Kunststück, die gewaltsame Nötigung andersgläubiger Menschen nicht mit Stellen aus dem AT, sondern unmittelbar aus den Evangelien zu rechtfertigen?
Unter anderem hatte der afrikanische Kirchenvater Augustinus v. Hippo in seiner Auseinandersetzung mit den Donatisten sowie seine 'Lehre vom gerechten Krieg' wertvolle Vorarbeit geleistet, indem er ein Gleichnis Jesu geschickt als als Rechtfertigung verwendete:
In der lateinischen Bibelübersetzung Vulgata wurde die Einladung Jesu zum "eschatologischen Festmahl" (Lukas 14, 23)2 an die die sozialen Außenseiter und gesellschaftlich Verachteten in Zwang verwandelt: ’Cogite intrare! Zwingt sie, einzutreten!’  

Stöhr spannt nicht nur den weiten Bogen bis zu den Kreuzzügen - er arbeitet auch heraus, wie in der Christenheit eindringliche Begrenzungen der Gewalt gefordert werden - nicht erst seit den mittelalterlichen Erneuerungs- und Armutsbewegungen. 
"Die Botschaft Jesu ist nicht ganz vergessen."
Freilich wurde ein Teil dieser Bemühungen um innerkirchliche Erneuerung (vgl. 'Franziskaner als Sozialrevolutionäre') und Rückbesinnung kategorisch als Irrlehre gebrandmarkt - insbesondere da, wo Päpste und Kurie ihren eigenen Machtanspruch in Zweifel gezogen sahen. Allgemein seien Aktionen gegen Gewalt innerhalb der christlichen Geschichte allerdings eine Minderheitenposition.-
"Mehrheitlich findet eine Anpassung an die herrschende Macht statt oder eine Instrumentalisierung isolierter christlicher Motive wie z.Zt. in der Kriegsrhetorik von George W. Bush oder bei den fanatischen Gegnern in Nordirland."
In seinem Artikel begeht Martin Stöhr nicht den häufig anzutreffenden Fehler, sich im Stiel der Boulevard-Presse auf die allgemein bekannten 'Highlights' wie Hexenverbrennung und Vernichtung der Katharer zu stürzen. Statt dessen wird eine Entwicklung hin zur biblisch scheinbar legitimierten Gewalt beschrieben.

Aus meiner Sicht ist seine Darstellung so ausgewogen, wie es ein derart heikles Thema nur zulässt.
Allerdings geraten m.E. die Attribute 'christlich' und 'römisch-katholisch' etwas durcheinander: Sofern bezüglich der ersten Jahrhunderte von christlicher statt katholischer Gewalt die Rede ist, ensteht ein pauschaler und insoweit unzutreffender Eindruck: Nicht nur unter den Gnostikern gab es sehr wohl christliche Strömungen, Gruppen und Gemeinden, die dem pazifistischen Ethos der Anfangsjahre konsequent die Treue hielten.




Anmerkungen:
Der Vers lautet vollständig: "Jedermann sei untertan der ObrigkeitA, die Gewalt über ihn hat. Denn bes ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet." (Röm 13,1 Lut,1984)

2 "Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. (Lk 14, 23; Lut,1984)"


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