Montag, 2. Mai 2016

Stirbt TTIP langsam vor sich hin?

Was ist eigentlich meine persönliche Position zu diesem gewaltigen Projekt, das als Handelsabkommen daherkommt, in Wirklichkeit aber in etliche Bereiche der Gesellschaft eingreift - sowohl in den USA (was hierzulande gelegentlich übersehen wird) als auch in Europa?
Nun, ich habe keine fundierte Meinung zu TTIP - bestimmt nicht aus Desinteresse, sondern weil ich kaum verlässliches Faktenwissen darüber besitze.
Auch die jetzt veröffentlichten Papiere geben keine Verhandlungsergebnisse wieder, sondern einen kleinen Ausschnitt temporärer Positionen ...jede Seite versucht (anscheinend immer noch) ihr Maximalziel zu realisieren. Indessen legen sie auch nahe, dass sich die USA bisher "so gut wie gar nicht bewegt" hätten.

Vom Prinzip her begrüße ich eine Zollunion, was nach meinem Verständnis den Kern eines sinnvollen Handelsabkommens bildet. Doch eine Sonderjustiz (private Schiedsgerichte) neben der ordentlichen (und vor allem unabhängigen) Rechtsprechung mit mehreren Rechtszügen lehne ich kategorisch ab, ebenso jede Aushöhlung der Gewaltenteilung. Keinesfalls darf durch dieses oder irgend ein anderes transnationales Abkommen die Situation entstehen, dass Wirtschaftsunternehmen noch größeren Einfluss auf die Gesetzgebung eines Landes bzw. der EU nehmen als ohnehin schon.
Der Kerngedanke, dass Staaten unter bestimmten Bedingungen haften sollten, wenn Investoren Vermögen verlieren, klingt verlockend - ein fairer Interessenausgleich kann aber nur entstehen, wenn Konzerne, Verbraucher und natürlich der Staat sich im Klageweg an dieselben Gerichte wenden können - in einem transparenten, klar geregelten Verfahren mit vom Staat autorisierten und vergüteten Richtern. Dies kann von mir aus ein spezialisierter Handelsgerichtshof sein, solange die zuvor genannten Voraussetzungen einhalten werden.
Dagegen passt ein Club von in Hinterzimmern kungelnden Anwälten als Prozess-Ersatz nun gar nicht zu den Grundsätzen ordentlicher Rechtsprechung.


Nach den jüngsten Enthüllungen seitens Greenpeace schreibt Alexandra Endres in der ZEIT:
"Die USA führen die Verhandlungen als Diener der Konzerne. Die EU kann sich darauf kaum noch einlassen."
Das mag zutreffen oder auch nicht - letztlich jedoch haben die von uns gewählten Abgeordneten das fertig verhandelte Abkommen vor seiner Unterzeichnung zu prüfen, um es zu genehmigen oder Nachbesserungen zu veranlassen oder es insgesamt zurückzuweisen (was eher unwahrscheinlich ist angesichts des Drucks, den Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks längst aufgebaut hat).
Endres stellt weiter fest, für die USA geht es bei TTIP primär darum, die Interessen der heimischen Konzerne zu vertreten.
Ja, was denn sonst? Verbraucherinteressen schützen, okay. Nur ist allgemein bekannt, in den USA gilt ein Verbraucherschutz nach europäischem Vorbild als Handelshemmnis. Gibt es denn inzwischen belastbare Untersuchungen, ob bzw. in welcher Größenordnung Menschen infolge des Verzehrs der zeitweilig wild zitierten "Chlorhühner" erkrankt oder gar verstorben sind? Falls solche Produkte künftig auch in der EU vertrieben werden sollen, wird zuvor ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit untersucht werden müssen - ohne Wenn und Aber.
Weitaus schwerwiegender: Den öffentlichen Handelsgerichtshof mit Berufungsmöglichkeit, wie die EU anstrebt, soll es nicht geben. Die USA wollen an den umstrittenen Schiedsgerichten festhalten. 
Ich nehme mal an, für die Seite der EU verhandeln nicht nur Vollidioten mit den Amis über TTIP. Wenn also gefordert wird, Europa müsse "nun rote Linien abstecken", gehe ich mal zugunsten 'unserer' Verhandlungsdelegation davon aus, dass sie dies längst getan hat - auch in Konsultationen mit den Regierungen der EU-Staaten. Alles andere wäre erschreckend unprofessionell.
Das offizielle, zuletzt in Hannover verkündete Ziel ist, die Verhandlungen noch in diesem Jahr abzuschließen. Im Falle ausufernder Betonköpfigkeit dauern sie halt länger, möglicherweise gehen sie über Obamas Amtszeit hinaus - Lohn der Unnachgiebigkeit und eine Chance weniger, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen. Doch die Obama-Administration registriert sehr wohl, wie die Zustimmung für TTIP auch im eigenen Lande schwindet, wovon nicht zuletzt einstige Außenseiter im laufenden Vorwahlkampf (z.B. Bernie Sanders und D. Trump) profitieren. 
Endres meint dagegen, mit zunehmender Dauer der Verhandlungen wachse die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Abkommen gar nicht mehr zustande kommt.
Eine Schlussfolgerung, die ich so nicht teile. Denn auch ein Freihandelsvertrag, der berechtigte Befürchtungen von Kritikern berücksichtigt und eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner fixiert, wäre für sie keineswegs "nutzlos" - solange die wechselseitigen Handlungsbeziehungen zwischen den USA und Europa dennoch intensiviert werden.


"Der Zahnarzt tut dir ganz sicher nicht weh, mein Kind!"

Ein vollständiges Scheitern liegt weder im Interesse Europas noch dem der USA. Höchste Zeit für eine sachliche Diskussion in der Öffentlichkeit - die man meiner Ansicht nach nur durch echte Transparenz erreichen wird. Erst die "Geheimhaltungs-Obsession der USA" habe dem Projekt den Anschein einer Konspiration gegen die Interessen der Bürger verliehen, befindet Alexander Hagelüken in der SZ - und fügt hinzu: Die weiteren Gespräche mit den USA können von der Transparenz profitieren. Das ist zwar richtig, doch hatten Wirtschaftsverhandlungen meines Wissens bislang stets vertraulichen Charakter - höchste Zeit zum Umdenken: Etwaige Globalisierungsängste und kritische Fragen von EU- und US-Bürgern lassen sich offensichtlich nicht beseitigen, indem Regierungen und Wirtschaftsunternehmen sie stumpf und beharrlich ignorieren ...so wird das nix.
Dies gilt gleichfalls für sinnentleerte, weil schablonenhaft wiederholte Erklärungen, die wir schon x-mal gehört haben: In Hannover beschwört Barack ("Die Menschen sind für den Handel") den Wettbewerbsvorteil (für wen?) sowie "noch mehr Wachstum und noch mehr Arbeitsplätze durch die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft" - und Angela sekundiert, die Chancen des Abkommens seien doch viiiiel größer als seine Risiken. Solcherart undifferenziertes Politiker-Geschwurbel ist eben keine Antwort auf berechtigte Einwände und Vorbehalte!
Dem 'Kind' sollte erklärt werden, wozu der Zahnarztbesuch dient und wie man ihn möglichst schmerzfrei gestalten kann - einbeziehen statt für blöd verkaufen.
Einstweilen sollten die Leitmedien auf kaum beweisbare Behauptungen ("Vom Freihandel profitieren vor allem die Amerikaner", FAZ) verzichten. Seit Jahren predigt die Politik uns Bürgern, wir sollten weniger auf rein nationalen Prioritäten bestehen ...falls also das krisengeplagte Spanien mehr Nutzen (Arbeitsplätze, Exportvorteile etc.) von TTIP hätte als Deutschland, sehe ich darin jedenfalls kein K.O.-Kriterium.

Quellen 

Obama-Besuch in Hannover: Pressekonferenz mit Angela Merkel und Barack Obama am 24.04.2016

Was war denn da mit Angie los? Sie ist ja ganz hibbelig ...liegt das an der Nähe zu Barack Obama, der sie liebevoll seine "Freundin und Partnerin" nennt? Nana...

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