Donnerstag, 8. November 2012

"Warum ich kein Christ bin" - Bertrand Russell



Der Philosoph, Logiker, Mathematiker und Sozialkritiker Bertrand Russell (1872 - 1970) studierte Mathematik und Philosophie und war bis 1916 als Dozent für Logik und Mathematik tätig. Massgeblich beeinflusst wurde er durch Ludwig Wittgenstein. Aufgrund seines aktiven Pazifismus verlor Russell seine Dozentur und verbüßte 1917 eine Gefängnisstrafe wegen eines Zeitungsartikels.
1922/23 wurde er als Kandidat für die Parlamentswahlen aufgestellt. Seine Professur am College of the City (New York) wurde 1940 durch die Anti-Russell-Bewegung verhindert, die ihn u.a. wegen seiner Forderung nach gesetzlicher Tolerierung der Homosexualität angriff. Doch nach 1944 erhielt er einen Lehrauftrag in England und seine Reden wurden im Rundfunk übertragen. 


1950 wurde ihm für seine wissenschaftliche Prosa der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Russell trat der er aktiv für die atomare Abrüstung ein und gründete 1958 die "Campaign for Nuclear Disarment", deren der Präsident er wurde. Noch mit 88 Jahren wurde er 1961 wegen "Aufhetzung der Öffentlichkeit gegen die Staatsgewalt" nach Teilnahme einem Sitzstreik zu zwei Monaten Haft verurteilt, aber nach öffentlichen Protesten bereits eine Woche später wieder entlassen. 

1966 gründete er das Internationale Tribunal gegen Kriegsverbrecher, das ein Jahr später in Schweden als ‘Russell-Tribunal’ wegen des Vietnamkrieges verhandelte.--

Russel, beeindruckt von der Gewissheit der mathematischen Erkenntnis, der Sinneserfahrung und der Naturwissenschaften, beteiligte sich u.a. auch am 'Programm des Logizismus': Dessen Ziel bestand darin, alle mathematischen Begriffe durch Definitionen auf Begriffe der Logik zurückzuführen und alle mathematischen Theoreme auf der Basis solcher Definitionen zu beweisen - allein durch logische Prinzipien.


Innerhalb dieses Paradigmas war es für ihn folgerichtig, Religionen als unwahr und schädlich in ihren Auswirkungen zu kritisieren. Unangemessen und schädlich ist war seiner Auffassung nach z.B., dass ein unerschütterlicher Glaube als Wert angesehen wird. Wo im Interesse des Glaubens alle Gegenargumente, die Zweifel verursachen könnten, unterdrückt werden, tritt eine Verhärtung gegensätzlicher Ideologien - wodurch der den Boden für Hass und Glaubenskriege bereitet werde. 


Eine einseitig religiöse Unterrichtung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen bewirke, dass die geistige Entwicklung der Jugendlichen beeinträchtigt werde. In letzter Konsequenz "werden sie erfüllt von fanatischer Feindschaft gegenüber denen, die einem anderen Fanatismus anhängen oder, was noch schlimmer ist, gegenüber denen, die Fanatismus überhaupt ablehnen". Dagegen sei eine Haltung, die Überzeugungen aus Beweisen und kausalen Zusammenhängen entwickelt, geeignet meisten Übel auf der Welt leidet zu kurieren.

Ein Weiterleben der Seele nach dem Tode hält Russel schlicht für Wunschdenken; er begründet dies mit dem neurobiologischen Wissen seiner Zeit: Eine Gehirnverletzung sei imstande, das Gedächtnis eines Menschen zeitweilig oder dauerhaft zu löschen - darin liege ein Beleg für den unlösbaren Zusammenhang von Körper und Geist.


Russel setzte sich kritisch mit dem Christentum auseinander und 
veröffentlicht 1927 den Aufsatz Warum ich kein Christ bin’ (pdf).


Russells Auffassung lässt sich prägnant durch folgende Zitate zusammenfassen:


Die 10 Gebote des Liberalismus

1. Fühle dich keiner Sache völlig gewiss.

2. Trachte nicht danach, Fakten zu verheimlichen, denn eines Tages kommen die Fakten bestimmt ans Licht

3. Versuche niemals, jemanden am selbständigen Denken zu hindern; es könnte dir gelingen.

4. Wenn dir jemand widerspricht, und sei es dein Ehegatte oder dein Kind, bemühe dich, ihm mit Argumenten zu begegnen und nicht mit der Autorität, denn ein Sieg der Autorität ist unrealistisch und illusionär.

5. Habe keinen Respekt vor der Autorität anderer, denn es gibt in jedem Fall auch Autoritäten, die gegenteiliger Ansichten sind.

6. Unterdrücke nie mit Gewalt Überzeugungen, die du für verderblich hälst, sonst unterdrücken diese Überzeugungen dich.

7. Fürchte dich nicht davor, exzentrische Meinungen zu vertreten; jede heutige Meinung war einmal exzentrisch.

8. Freue dich mehr über intelligenten Widerspruch als über passive Zustimmung; denn wenn die Intelligenz so viel wert ist, wie sie dir wert sein sollte, dann liegt im Widerspruch eine tiefere Zustimmung.

9. Halte dich an die Wahrheit auch dann, wenn sie nicht ins Konzept passt; denn es passt noch viel weniger ins Konzept, wenn du versuchst, sie zu verbergen.

10. Neide nicht denen das Glück, die in einem Narrenparadies leben; denn nur ein Narr kann das für ein Glück halten.

(Bertrand Russell, New York Times, 16.12.1951)
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Ohne Russels religions- und auch glaubenskritische  Haltung im Kern teilen zu müssen, fällt es nicht schwer, dieses Grundgerüst einer liberalen Ethik zu bejahen. Freilich wird dadurch ein sehr hoher Anspruch an jeden von uns gestellt.
Es ist nicht der Glaube an einen Gott, der für Hass und Glaubenskriege verantwortlich ist, sondern die bornierte Wahnvorstellung zu vieler Menschen, ihre eigene Anschauung anderen aufzwingen zu wollen oder gar 'zu müssen'.


Diese Tendenz kennen wir sowohl aus dem Umfeld der  Religionen als auch von atheistischen bzw. agnostischen Gruppierungen und Regimen. Wer letzteres glaubt widerlegen zu können, mag sich etwas eingehender z.B. mit der Zeit des Stalinismus befassen...

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